Angehaltene Zeit: Memento
Paul Pfarr hat sich in mehreren Arbeiten mit dem Einschreiben von Erinnerungen in das Gedächtnis der Materie/Natur beschäftigt: … Noch einmal griff Paul Pfarr das Thema „Wunden im Gedächtnis der Natur“ auf, indem er nach dem Fall der Mauer 1989 auf einem Jahrzehnte unzugänglichen Waldstück Bäume mit eingewachsenen Stacheldraht entdeckte. Zentimetertiefe Kerben hatte das regelmäßig verspannte, jetzt rostige Metall in den Rinden hinterlassen, ein Natur-Kunstwerk, das Paul Pfarr als Fotodokumentation in Stahlrahmen fasste und dem er den Titel „Die eingewachsene Zeit“ gab. Er schrieb damals dazu: „Im November 1989 fiel die Mauer. es war wieder möglich, den Fussweg nach Dreilinden in Richtung Kohlhasenbrück zu benutzen. Der ca. 4 km lange Weg ist von eine Allee begrenzt, deren eine Seite nach Kriegsende zur Demarkationslinie wurde. Direkt an die Bäume wurden bis in ca. 3 m Höhe Stacheldrähte angenagelt. Heute, nach 45 Jahren, sind diese Drähte in das Holz eingewachsen. Die Verletzungen sind vernarbt. Die zurückliegende Zeit wird sichtbar. Mit der Arbeit „Die eingewachsene Zeit“ wird der Prozess des Überwindens und des Zusammenwachsens übersetzt.“
Ikonographisch folgt Paul Pfarr hier Vanitas-Motiven, z. B. den weit verbreiteten Darstellung von Verwundung, Schmerz und Tod, wie sie in den Figuren des Heiligen Sebastian oder in Grünwalds Les Amants Trépassés aufscheinen. In einem vom Künstler gesammelten Zitate, das 1991 in verkürzter Form Titel eines Hölderlin gewidmeten grafischen Werks wurde, hieß es: „Ein Zeichen sind wir / deutungslos / Schmerzlos sind wir / und haben fast / die Sprache in der Ferne verloren (Hölderlin). So gilt es die Nähe der Dinge wieder herzustellen – durch Erinnerung als Vergegenwärtigung.
Barbara Straka, aus: Paul Pfarr, Die Nähe der Dinge, Seite 11