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Die Nacht aus Blei

Widmung für Hanns Henny Jahn
verschiedene Materialien und Fundstücke, 8-W-Neon-Handlampen, Raum variabler Größe, 1994/95
(Werk verschollen)

Jahnns Erzählung „Die Nacht aus Blei“, erschienen als eigenständi­ger Text 1956, ist eine sehr vollkommen und absolut gestaltete Traumerzählung. Kunstvoll verdichtet scheinen in diesem Spätwerk Jahnns noch einmal fast alle jene Inhalte, Motive und Symbole auf, die seinem gesamten literarischen Werk eigen sind. ,,Radikale Selbst­erfahrung als Todeserfahrung“ bezeichnet Gerd Rupprecht als das konkrete Thema des visionären Textes. Vorweggenommen ist die Metaphorik des Titels der „Nacht aus Blei“ in Jahnns Roman „Fluss ohne Ufer (Teil II, 1949/50). Jahnn, gegenüber der Darstellung der kosmischen Ordnung an die Grenze des Sagbaren gelangt, setzt hier das Bild einer „Mauer aus grauem Blei“, die für „Nichtwissen, Nicht­fühlen, Nichtkönnen“ steht. 

Zielt Hans Henny Jahnn literarisch auf Grenzerfahrung und Grenzüberwindung, gelangt bei ihm damit zugleich auch ein dunk­les und zerstörerisches Moment zur Darstellung. In der „Nacht aus Blei“ bedeutet Grenzüberschreitung auch Verletzung, Schmerz, Grauen und Tod. 

Angesprochen von der Sinnlichkeit der Atmosphäre und der Kraft der Sprache hat Paul Pfarr einen existentiellen Raum geschaf­fen, in dem eine Umsetzung der poetischen Bilder Jahnns in der ihm eigenen Sprache verwirklicht wird. Charakteristisch für die Installa­tion ist das kalte Neonlicht, das von Handlampen herrührt, die zum Teil in Glasröhren stecken, und das trotz seiner Kälte Brennpunkte schafft. In Verbindung mit dem eigentümlichen, den Raum bestim­menden „Mobiliar“ vermittelt sich dem Betrachter eine seltsam be­drückende, scheinbar völlig entmenschlichte Atmosphäre, in der, obwohl sich Licht über alles ergießt, atmosphärische Dunkelheit vor­herrscht. Gegenüber der metallenen Schutzraumtür, an die einige leuchtende Glasröhren angelehnt sind, befindet sich – in angemes­senem Abstand dazu – eine Anordnung, die aus einer grauverzink­ten Metallfläche, einem Zinkbehälter mit Neonröhren, einem Me­tallstuhl, einem liegenden, verschlossenen Koffer und nebeneinan­derliegenden Bleibarren besteht. Vorgegeben durch die Stellung des Stuhls – Paul Pfarr denkt bei dem Möbel durchaus an einen elektrischen Stuhl – fällt von dort aus der Blick auf das äußerste gegenü­berliegende Ende der sich längs erstreckenden Gesamtanordnung. Auch hier findet sich ein Licht-Paar in einem Behältnis, das sich je­doch als Tiegel aus einer Gießerei identifizieren läßt, und dem noch ein zweiter Gußtiegel an die Seite gestellt ist.

Die Querachse der Installation läßt sich bestimmen, wenn man vom Bild mit dem Werktisch ausgeht, auf dem eine Anzahl von Bleihämmern liegt. Ihm gegenüber steht eine Anordnung, die an ein Fließband erinnert, das mit durablen Schreibheften bestückt ist. Ver­weisen diese Pultordner einerseits auf Ordnung und Bürokratie, sind sie andererseits seltsam unregelmäßig auf dem Fließband angeord­net. Es wirkt so, als ob das Förderband während des Betriebs ins Stot­tern gekommen sei. 

Zur visionären Welt Jahnns bildet die „Buchführung“ am Fließband einen starken Kontrast. In der Installation Paul Pfarrs liegt das Förderband, lnbegriff für die Lebensfeindlichkeit technisch­bürokratischer Abläufe, gewissermaßen quer zum Erzählfluss, läuft es ins Leere. Markant ist, dass in einigen der Bücher, die Elemente die­ser Teilanordnung sind, Sensenblätter eingelegt sind. Wie Lesezei­chen ragen sie heraus, und wie „Lese-Zeichen“ kann man sie auch als Hinweise auf eine Gegenwelt verstehen.

Der Werktisch mit dem Werkzeug auf den verschiedenen Ebenen regt dazu an, dem instrumentalen Charakter der Gesamtan­ordnung nachzugehen. Die Substanz von Paul Pfarrs Installation zeigt sich dabei nicht darin, dass sie vorgibt, wie man „Die Nacht aus Blei“ lesen muss oder was sich als erkennbare eindeutige Struktur in bleierner Dunkelheit abzeichnet. Der besondere Gehalt der gesam­ten Anordnung liegt vielmehr darin, daß Paul Pfarr durch die einan­der nahegerückten Dinge einen Erfahrungsraum zur Verfügung stellt, der für den Betrachter zum Resonanzraum für eigene reflexive Prozesse werden kann. Die Installation erhält so eine instrumentale und damit funktionale Dimension.

Das reduzierteste Bild in Paul Pfarrs „Die Nacht aus Blei“ vermit­telt wohl die letzte Bildstation. Ganz lakonisch wird die jenseitige, bei Jahnn unterirdische Selbsterfahrung als Todeserfarung visuali­siert. Geht in der Erzählung Jahnns am Schluss ein Ich in seinem Gegenüber auf, und erfährt dieses Ich dabei den Tod als die Umkeh­rung der Geburt, so ist das Schluss-Bild in Paul Pfarrs „Nacht“ ein Licht­-Bild. 

Christian Costard, aus Paul Pfarr: Die Nähe der Dinge, Vacat Verlag, S. 64/65