Schönheit ist keine Realität und hat auch keinen eindeutigen Sinn. Sie ist scheinhaft, hinfällig und flüchtig. Von diesen philosophischen Wertungen trifft keine auf das Tischobjekt von Paul Pfarr zu: denn dieses ist real und eindeutig, ist weder scheinhaft noch flüchtig, obwohl es von außergewöhnlicher und unbegreiflicher Schönheit ist. Aber es ist radikal und monströs.
Es besteht aus ca. 550 gebrauchten Emaillebechern aus einer ehemaligen russischen Militärkantine. Paul Pfarr fand sie auf einem Areal für ausgediente Militärgegenstände zwischen ausgebrannten Fahrzeugen, Büromöbeln, Bettgestellen, Tanklastzügen und Stapeln von Kartuschen. Und zwar in einem kleinen Dorf bei Jüterbog, das Altes Lager heißt. Die einzelnen Kaffeebecher zeigen alle die Benutzungsmerkmale von mehreren Jahren, wie Rost, abgesprungenes Emaille, Löcher und Kratzspuren. Und manchmal auch den Namensrest der Kantine in kyrillischen Buchstaben.
„Der einzig erkennbare Ort der Geschichte“, schreibt Wolfgang Koeppen, „ist der einzelne Mensch. Jeder für sich“. Hier bei dieser Tisch-Installation handelt es sich um Soldatenmenschen, die, aus ihrer bisherigen Lebensbahn geworfen, der Republik ihre intimsten Gegenstände zurücklassen. Das Einzelne als Masse. Das Individuelle, das hier von Paul Pfarr zu einem monumentalen Becherteppich zusammengefügt wurde, in dem jedes persönliche Detail vollkommen aufgesogen wird. Es ist der Gruppensog der totalen Angleichung.
Um diesen Kaffeebechern eine integrierende Fassung zu geben, hat Paul Pfarr eigens dafür einen Tisch aus Stahl gefertigt. Der Tisch als Podest, als Altar, der eine solche dichtgedrängte Geschirrmenge magisch erhöht und in eine todessüchtige Reliquie verwandelt: das Fundobjekt als Ready-made der Nachkriegszeit, ein Stilllebenobjekt für Überlebende.