Bedrohung geht aber nicht allein direkt von der Gewalt der Materie aus, sondern auch im übertragenen Sinn durch die Gefahr eines Überhandnehmens von Erinnerungen als Überschwemmung des Gedächtnisses. Auf Erinnern muß auch Vergessen folgen können, ja menschliches Leben ohne die Möglichkeit des Vergessens erschien Nietzsche unmöglich, die Fähigkeit zu vergessen hingegen „göttlich“. Im Zarathustra heißt es: „Wirf dein Schweres in die Tiefe! Mensch, vergiß, Mensch, vergiß! Göttlich ist des Vergessens Kunst!“ Im griechischen Mythos tranken die Seelen der Menschen aus dem Fluß des Vergessens, ,Lethe‘, um ihre Erinnerungen zu tilgen. Im bedeutendsten Tempel des antiken Athen stand ein ,Altar für das Vergessen‘. 

Barbara Straka, aus: Paul Pfarr – Die Nähe der Dinge , Seite 14